"Umdenken!"
 
Es ist keine neue Erkenntnis, dass unsere Gesellschaft immer älter wird. Die wachsende Anzahl der "Senioren von morgen" ruft nicht nur Politiker und Sozialexperten auf den Plan, um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen. Vorausschauende Planer von Altenheimen beziehen in ihre Entwürfe bereits nicht nur die steigende Nachfrage ein, sie setzen auch die veränderten Bedürfnisse dieser Bevölkerungsgruppe um. Der Driedorfer Küchenfachplaner für Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung, Paul Göbel, fordert, das Augenmerk auch auf eine andere Verpflegung zu richten - Essen nicht im Tablettsystem als "Nahrungsaufnahme" zu definieren, sondern als individuellen Genuss und gemeinschaftliches Erleben.

Wie schätzen Sie die derzeitige Situation ein?

Paul Göbel: Die (bedauerliche) Realität in vielen Altenheimen sieht derzeit so aus: Feste Größe im Tagesablauf der Senioren sind die Mahlzeiten, oft schon ein bis zwei Stunden vor dem Mittagessen sitzen die ersten Damen und Herren im Speisesaal und warten auf die Ausgabe. Was dann kommt, wurde sehr häufig bereits Stunden vorher portioniert und angerichtet, die ganze Zeit warm gehalten oder hat Regenerierzeiten von bis zu über einer Stunde hinter sich.

Jeder, der sich mit Lebensmitteln beschäftigt, weiß, welche Auswirkungen die Faktoren Zeit und Temperatur auf Lebensmittel haben. Bei längeren Warmhaltezeiten sind Nährstoff-, Mineral- und Vitaminverlust sowie Veränderungen in Konsistenz, Geschmack und Farbe die Folge. Eine Konsequenz daraus - und hier wissen Altenheimverantwortliche ein Lied davon zu singen - ist die Unzufriedenheit der Bewohner mit dem Essen. Zu Recht, denn der heutige Stand der Technik ließe eine weit bessere Verpflegung zu. Die Großgastronomie beweist täglich mit ihren ausgefeilten Bankettsystemen, dass Ausgabezeiten eine Dauer von einer halbe Stunde nicht überschreiten müssen.

Wie müsste eine bessere Verpflegung aussehen?

Paul Göbel: In die Überlegungen müssen auch die Essgewohnheiten bei den Bewohnern einbezogen werden. Heute verbringt die Kriegsgeneration ihren Lebensabend im Altersheim. Menschen, deren Leben häufig von Bescheidenheit geprägt war, bei denen die Mahlzeit noch mehr die Bedeutung von Nahrung als von Genuss hatte.

In den vergangenen 30 Jahren haben sich die Essgewohnheiten aber stark geändert. Auf den Speiseplan kamen in Urlauben lieb gewonnene ausländische Gerichte, außerdem schlugen sich Lebensphilosophien in der Nahrungsauswahl nieder: Beste Beispiele hierfür sind Vegetarier oder überzeugte Anhänger von Rohkost. Darüber hinaus entwickelte sich unsere Gesellschaft multikulturell. Menschen aus anderen Kulturkreisen kamen, brachten ihre typischen Gerichte mit und sollen im Alter nicht darauf verzichten müssen.

Außerdem wurde der Besuch eines Lokals zum Ausdruck von Lebensstil und Geselligkeit. "Essen gehen" nimmt einen hohen Stellenwert ein, und auch die Auswahl der Produkte für den heimischen Kochtopf orientiert sich zunehmend an einem hohen Qualitätsanspruch. "Tablettessen" wird mit Krankenhauskost oder Schnellrestaurant gleichgesetzt - eine Assoziation, die niemand für den Rest seines Lebens haben will. All diese Essgewohnheiten und Verhaltensmuster müssen in der Verpflegung künftiger Altenheimbewohner berücksichtigt werden.

Gibt es Möglichkeiten, diese Faktoren zu berücksichtigen?

Paul Göbel: Eine Möglichkeit wäre eine individuelle Buffetlösung, die sowohl für Altenheime mit kleinen Essenseinheiten auf Stationen als auch für solche mit großen Einheiten in einem Speisesaal anzupassen wäre. Noch mobile Senioren könnten sich die Portionen nach den persönlichen Vorlieben zusammenstellen (der eine bevorzugt größere Fleischportionen während ein anderer mehr Sättigungsbeilagen oder Soße mag). Damit ärztliche Verordnungen, wie Schonkost oder Diäten, eingehalten werden, könnte das Personal, das nun weniger Zeit für die Portionierung benötigt, hilfreich zur Seite stehen. Selbst pflegebedürftigen Menschen, denen das Essen dargereicht wird, könnten die Betreuer mehr Auswahlmöglichkeit geben.

Wie könnte dies erreicht werden?

Paul Göbel: Die Voraussetzung, dass frische Speisen auf den Tisch beziehungsweise das Buffet kommen, sind in der Küche zu schaffen. Dabei ist es sicherlich nicht ein Problem der Zubereitung, sondern ein logistisches. In der Küche kann schnell produziert werden, aber die Portionierung und Verteilung der Mahlzeiten verschlingt (noch) sehr viel Zeit, und es folgt eine unvertretbar lange Warmhaltedauer mit den beschriebenen Konsequenzen.

Die Hersteller der Nahrungsmittelzulieferindustrie sowie die der Küchentechnik ermöglichen es heute, unter verschiedensten Vorbedingungen eine wirtschaftliche Küchen- und Ausgabelösung zu finden, die auch die Logistik berücksichtigt sowie die heterogene räumlich/bauliche und personelle Situationen der einzelnen Altenheime.

Es gibt aber keine Patentlösung, also eine ideale Standardküche, die für jedes Haus passen würde - die Planung kann nur ganz individuell nach umfassenden Vorermittlungen durchgeführt werden. Jedoch das Ergebnis jeder Küchenplanung für die Gemeinschaftsverpflegung in einem Altenheim muss das gleiche sein: Optimale Qualität der Speisen sowie Berücksichtigung der Wünsche und Gewohnheiten der Bewohner bei Einhaltung des finanziellen Rahmens, der sich aus den Pflegesätzen ergibt.

zurück